Halo 05-2021
4 | HALOKAZ Fraktionszwang? NEIN DANKE! Gedanken eines ehemaligen Kommunalpolitikers Demnächst haben wir wieder Wahlen: Kommunalwahl mit Bür- germeisterwahl, Kreistagswahl mit Landratswahl (beide am 12. Sep- tember) und auch Bundestagswah- len (am 26. September). Da müssen wir uns u.A. auch wieder für eine Partei entscheiden. Viele – vor allem jüngere Bürger – wollen aber mit den Parteien nichts zu tun haben. D a ist dann meistens von Po- litikverdrossenheit die Rede. Dass dies häufig nicht zu- trifft, kann man an den politischen Aktivitäten Jugendlicher sehen, z.B. bei „Fridays for Future“. Es ist weni- ger eine Politikverdrossenheit, als Unmut über Parteienklüngel oder über einzelne korrupte Abgeord nete. Die Vorfälle in jüngster Zeit in der Bundes-CDU und CSU über die Bereicherung einzelner Abgeord neter bei Masken-Verkäufen tragen natürlich wieder kräftig dazu bei. Die meisten Abgeordneten, die ich kenne sind jedoch im Interesse der BürgerInnen/WählerInnen en- gagiert. Aus unserer Region ken- ne ich viele persönlich, so z.B. die KommunalpolitikerInnen, die meis- ten Kreistags-Abgeordneten aller Parteien sowie die SPD-Landtags-, Bundestags- bis hin zum Europa abgeordneten Bernd Lange. Es steht jedem offen, auch ohne Parteizu gehörigkeit, mit den PolitikerInnen in direkten Kontakt zu treten. Beim Besuch von politischen Veranstal- tungen hat jeder die Möglichkeit, mit den PolitikerInnen zu sprechen, sie persönlich kennenzulernen, mit ihnen zu diskutieren und auch eige- ne Vorstellungen, Wünsche oder Be- schwerden vorzutragen. Die mir bekannten PolitikerInnen sind alle dafür sehr offen und teil- weise auch dankbar für neue An regungen und Ideen. Außerdem haben alle Kreistags-, Landtags- und Bundestagsabgeordnete E-Mail-Ad- ressen und die meisten antworten gerne auf die eingehenden Mittei lungen und Anfragen. Wer jetzt immer noch meint, auf „die da oben“ schimpfen zu müs- sen und behauptet: „Ich darf ja so- wieso nur alle 4 oder 5 Jahre mein Kreuz machen“, der nutzt die Mög- lichkeiten unserer parlamentari- schen Demokratie nicht aus. Alle Landtags- und Bundestagsabge- ordneten haben ihre regelmäßigen Sprechstunden und alle Rats- und Ausschusssitzungen sind öffentlich und die dort anwesenden Bürger Innen können auch Fragen stellen und Anregungen einbringen. Nun haben wir aber eine parla- mentarische Demokratie, die von Parteien gestaltet wird. Das heißt, wenn man politisch aktiv werden will, weil man sein Umfeld mitge- stalten oder auch nur bestimmte Ideen einbringen möchte, geht das in den meisten Fällen nur über den Kontakt mit oder die Mitgliedschaft in einer Partei. In den Ortsräten ist es in der Gemeinde Harsum anderer seits aber auch möglich, ohne Par- teizugehörigkeit für den Ortsrat zu kandidieren und dort aktiv mitzuar- beiten. Früher stand für mich immer fest: „Ich werde niemals in eine Partei eintreten, weil ich meine eigenstän- dige Meinung nicht aufgeben will“. Man muss das aber nicht unbedingt so sehen! Als ich noch im Gemein- derat politisch aktiv war, habe ich – wenn ich mit der Faktionsmeinung nicht einig war – immer gesagt: „Wenn Ihr wollt, dass wir einstim- mig abstimmen, müsst Ihr mich da- von überzeugen“. Manchmal gelang dies, manchmal auch nicht. Einmal habe ich, ohne vorher in der Frak- tion Bescheid zu sagen, gegen die Fraktions-Mehrheit gestimmt. Das war peinlich, weil der Fraktionsvor- sitzende vorher in der Sitzung ver- kündet hatte: „Die Fraktion stimmt einstimmig …“. Nun gibt es aber dieses böse Wort „Fraktionszwang“ oder milder aus- gedrückt „Fraktionsdisziplin“ oder auch „Fraktionssolidarität“. Recht- lich ist das nicht haltbar. Im Grund- gesetz Artikel 38 Absatz 1 steht für Bundestagsabgeordnete: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Dies kann man sicherlich auch auf alle gewählten Landtags- und Kreis- tags-Abgeordneten sowie Gemein- derätInnen übertragen. So weit die Theorie! Häufig gibt es in den Parla- menten aber nur sehr knappe Mehr- heiten, so dass man sich in den Frak- tionen schon einig sein muss, wenn man etwas durchsetzen will. Dass man auch als Einzelperson etwas erreichen kann, haben z.B. Leonie Voges und ich erlebt, als es um das Gewerbegebiet Hildes- heim-Nord ging. Auch hier gab es knappe Mehrheiten im Gemeinde- rat. Wir hatten im Aseler Ortsrat (in dem wir damals auch saßen) ver- sprochen, den Plänen nicht zuzu- stimmen, wenn die Zufahrt zu dem zusätzlich geplanten Autobahnan- schluss zwischen Asel und Harsum verläuft. Als die Pläne im Gemeinde- rat zur Abstimmung kommen soll- ten, war aber nur diese eine Variante vorgesehen. Leonie und ich weiger- ten uns daher in einer Fraktionssit- zung, diesen Plänen zuzustimmen. Da gab es Aufruhr in der Frak tion und wir bekamen ein Extra-Ge- spräch mit einem Vertreter aus der Hildesheimer Stadtverwaltung. In dem Gespräch erklärte er sich be- reit, in den Vertrag mit aufzuneh- men, dass andere Varianten, die in früheren Plänen bereits vorgesehen waren, gleichwertig mit berücksich- tigt werden sollten. Mehr war nicht herauszuholen. Die heutigen Pla- nungen sehen nun auch eine „an- dere Variante“ mit der Verkehrsfüh- rung hinter Harsum vor (was aber sicherlich nicht nur auf unser Ge- spräch zurückzuführen ist). Abschließend sei nochmals daran erinnert: Es lohnt sich, zu den Wah- len zu gehen! Es werden ja nicht nur Parteien (mit der 2. Stimme) son- dern mit der 1. Stimme auch Per- sonen direkt gewählt. Und auf der Parteienliste (Zweitstimme) werden die einzelnen KandidatInnen auf der Liste in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie dann in das Parlament ein- ziehen werden, je nachdem, wie vie- le aus der jeweiligen Partei gewählt wurden. Über die KandidatInnen für Kreistag, Landtag und Bundestag kann man sich im Internet informie- ren, wenn man sie nicht kennt. Die KandidatInnen für den Orts- und Ge- meinderat kennt man ja z.T. ohnehin schon, da es sich hierbei manchmal sogar um Nachbarn oder Freunde und Bekannte handelt. Wenn man Briefwahl macht, kann man sich al- les in Ruhe ansehen: Welche Kandi- datInnen auf welchen Listen stehen und was es alles für verrückte Partei- en gibt. Also viel Spaß beim Wählen – und achten Sie auf Ihre Stimme! Wulf Kaeser
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